Behinderte und Intimsphäre…
… sind in den meisten Fällen komplette Fremdwörter.
Wenn ich mal von meinem Tagesablauf ausgehe, dann fängt es schon morgens damit an, dass meine Eltern mir in den Rollstuhl und bei der Morgentoilette helfen müssen. Rasieren, duschen, waschen, abtrocknen, eincremen, anziehen.
All das, was der „Normalo“ alleine und meistenteils hinter geschlossenen Türen macht, das findet bei mir im freien und mit der dazu notwendigen Kavellerie statt, und dabei ist es egal, ob das hochziehen der Hose ist, oder das Popo abwischen nach den großen Geschäft. Es bleibt kein Raum und keine Zeit für Schamgefühle, denn das Leben geht weiter.
Dass ist auch der Punkt, der den meisten im nach hinein Behinderten oder pflegebedürftigen Senioren die Psyche knackt. Das zurückversetzen ins Kleinkindalter und der Verlust der Intim- und Privatsphäre.
Wenn man mit der Behinderung aufwächst wie ich, dann wird man zum Vollprofi. Im pflegerischen Bereich kenne ich kein Schamgefühl. Ich kann im Footballstadion vor 30.000 Leuten meine Urinflasche auspacken und mein kleines Geschäft erledigen, oder mich von wildfremden Krankenschwestern duschen lassen, ohne dass irgend eine Regung passiert.
Nur: Was geschieht in den Momenten, wo ich mal alleine sein will und muss, aber irgendwie nicht kann??????
Jeder kennt zum Beispiel den Moment, wo die Kinder anfangen, die Zimmertüren zu schließen oder jeder kann sich noch an seinen ersten Kuss erinnern, wo man sich in irgendeine Ecke des Schulhofes verkrümelt hat, damit es keiner sieht. Wenn es dann doch jemand mitbekam und einen blöden Kommentar abgelassen hat, sind die meisten puterrot angelaufen und haben das berühmte Loch in der Erde zum versinken gesucht.
Die Türe zu meinem Zimmer kann ich getrost aushängen, denn die bleibt immer offen. Ich könnte ja Fallen und mir beide Ohren brechen. Auf der einen Seite kann ich die Angst meiner Eltern natürlich nachvollziehen, dass sie schnellstmöglich mitbekommen möchten, wenn mit mir was nicht stimmt, aber auf der anderen Seite nervt es gewaltig. Ich bin mittlerweile 40 Jahre alt, und es muss nicht jeder im Haus wissen mit wem ich telefoniere oder mit wem ich einen WebCam-Chat mache.
Der Ort meiner Privatsphäre sind meine Gedanken. Nur da kann ich wirklich für mich sein.
Aber auch diesen Ort muss ich gelegentlich teuer bezahlen. Es gab schon viele Menschen, die mich für einen geistig behinderten Trottel, ‚nen Tagträumer oder einen Realitätsflüchtling gehalten haben.
Das sind alles kleine „Nebengeschenke“, die man zu der Behinderung mit dazu bekommt, und das sind die Geschichten welche die Psyche anknabbern und Kraft kosten. Auch damit kann man leben und sogar alt werden, jedoch wollte ich es nur mal gesagt haben…