„…, denn wir sind nur zum Feiern hier…!“
„…, denn wir sind nur zum Feiern hier…!“
Für einen Eishockey-Junkie wie mich waren die letzten zweieinhalb Wochen mit der IIHF-Weltmeisterschaft 2017 in Köln wahre Feiertage, denn man hat nicht allzu oft die Gelegenheit, Eishockey Superstars wie Henrik Lundquvist, Niklas Bäckström, Claude Giroux, Leon Draisaitl, Thomas Greiss, Vadim Shipashov oder Johnny Geaudreau in Deutschland zu sehen.
Von daher war es für mich einfach ein Muss, so viele Eishockeyspiele wie möglich bei dieser WM zu sehen. Und das ist mir auch mit ca. 30 Spielen recht gut gelungen.
Spätestens am zweiten Tag lebt man dann in einer ganz eigenen Welt. Die Welt der Eishockeyfans ist ein eigener Mikrokosmus, wo Nationalität, Hautfarbe oder Behinderung scheinbar nur eine untergeordnete Rolle spielen. Der Hauptfaktor bei allem scheint wirklich nur Spaß am Spiel und Sp
aß am Feiern zu sein. Selbstverständlich unterstützt jeder Fan sein Land und seine Mannschaft nach Kräften, aber irgendwie sind zum Beispiel die Gesetzmäßigkeiten des Fußballs mit Randale und Krawalle und wahren Hassgesängen bei uns irgendwie außer Kraft gesetzt.
Rund 17 Tage lang saßen Finnen, Schweden, Italiener, Deutsche, Kanadier, Schweizer, Franzosen, Tschechen, Ungarn, Rumänen und Niederländer (die letzten drei Nationen waren sogar gar nicht spielberechtigt für die WM) zusammen in einer Halle und haben ein großes Eishockeyfest gefeiert. Und ganz nebenbei der großen Welt draußen den Mittelfinger gezeigt! „Lasst uns doch mit eurem Hass in Ruhe, denn wir sind nur zum Feiern hier!“
Dieser Gesang hallte so manches Mal durch die große Halle der Köln Arena und es war sprichwörtlich das geheime Motto dieser WM.
Ich bin immer wieder angetan davon, dass in unserem Sport die sonstigen Gesetzmäßigkeiten scheinbar außer Kraft gesetzt sind. Wo es sonst Stress gibt zwischen Russen und Amerikanern, so findet der Stress zwar auf dem Eis auch statt, aber in den Spielpausen stehen die Fans beider Lager zusammen draußen am Bierstand und unterhalten sich, als würde es die großen weltpolitischen Probleme, die beide Supermächte miteinander haben, gar nicht geben.
Dieses Jahr war auch das erste Mal, dass es russische Rollstuhlfahrer unter den Zuschauern gab, was ich als großen Fortschritt werte. Bisher haben Behinderte in der russischen Gesellschaft kaum stattgefunden, es sei denn es waren verwundete Kriegshelden. Da scheinen zumindest in Ansätzen die Winter-Paralympics von Sochi einiges in dem Land bewirkt zu haben.
Da ich mittlerweile seit fast 35 Jahren zum Eishockey gehe, ist mir diese Stimmung nicht fremd und doch bin ich immer wieder von dieser Stimmung gepackt und ergriffen. Und da kann ich mich richtig fallen und treiben lassen. Mein Rollstuhl und meine Behinderung spielen urplötzlich keine Rolle mehr, denn ich bin in den 3 Stunden des Spiels wirklich nur Fan.
Und der Rest ist wirklich egal, ob mir der leicht angesäuselte Finne den Kaffee festhält oder der angesäuselte Schweizer im Vogelstraußkostüm durch die Gegend rennt und sich auch direkt zum Foto hinstellt, als wäre es das Normalste von der Welt.
Aus sportlicher Sicht muss ich sagen, wenn man die obengenannten Topstars des Eishockeysports mal live sehen kann, und sieht wie die mit Schläger, Puck und ihre Schlittschuhtechnik umgehen, dann versteht man auch, warum die Topnationen noch mindestens zwei Gänge schneller spielen, wie die deutsche Nationalmannschaft. Auch wenn sich diese mit ihrer Viertelfinalteilnahme mal wieder sehr gut aus der Affäre gezogen hat. Mehr war ehrlich gesagt nicht drin, denn obwohl die 1:2-Niederlage im Viertelfinale gegen Kanada ein recht achtbares Ergebnis war, muss man doch ehrlicherweise zugeben, dass die Kanadier jederzeit noch drei Gänge hätten höher schalten können, wenn sie es gebraucht hätten, jedoch die Deutschen schon weit über ihrem Limit gespielt haben. Aber die deutsche Mannschaft hat alles reingehauen, was ging. Und man muss ehrlicherweise zugeben, nach dem achten Spiel in 11 Tagen war auch irgendwo der Dampf weg. Jetzt muss man eh sagen, dass diese Leistung ALLER teilnehmenden Ländern und deren Spieler nicht hoch genug zu schätzen ist. Wenn man einem Fußballer erklärt: „Du musst 10 Pflichtspiele in knapp 15 Tagen machen“, wie es die Finalisten Kanada und Schweden auf ihrem Programmzettel hatten, der Fußballer würde heulend nach Hause rennen.
Und im Gegensatz dazu sagt der deutsche Superstar Leon Draisaitl nach seiner Play-Off-Niederlage mit dem Edmonton Oilers in Anheim: „Klar komme ich rüber geflogen und spiele für Deutschland!“ Also fliegt der Junge mal gut 14 Stunden von Kalifornien nach Frankfurt, kommt morgens um 9 an und steht abends um 20:15 Uhr mit der Nationalmannschaft auf dem Eis. Und bei Philip Grubauer war es nicht viel anders. Und obwohl diese Jungs schon fast 100 Spiele in der Saison gemacht haben, haben sie nochmal alles reingeworfen, was noch da war. Diese Leistungsbereitschaft ist nicht hoch genug zu bewerten.
Aber die Spiele gegen die besten Mannschaften der Welt haben auch ganz deutlich gezeigt, wo es im deutschen Eishockey hakt. Beim Spiel mit und ohne Puck sind Kanadier, Schweden und Finnen etc. einfach zwei Gänge schneller. Das Passspiel ist überragend. Während die Deutschen gefühlte 10 Minuten den Puck zwischen den Beinen sortieren müssen, sind die Schweden in der Realität schon drei Spielzüge weiter. Hier muss ganz einfach die Ausbildung der Kinder- und Jugendspieler aus meiner Sicht ganz eindeutig verbessert werden. Vielleicht wäre es bei den Profiteams nicht verkehrt, mal den ein oder anderen schwedischen oder finnischen Jugendtrainer unter Vertrag zu nehmen, der unseren Trainern und den Jugendlichen selber zeigt, wie die Ausbildung auszusehen hat.
Denn eins sollte auch klar sein: Unsere Leistungsträger wie Christian Ehrhoff, Dennis Seidenberg oder Patrick Reimer sind schon weit über 30 und spielen daher nicht mehr allzu lange. Der Nachwuchs steht zwar mit Draisaitl, Tiffels, Kahun und Grubauer in den Startlöchern, aber irgendwie fehlt es im Alterssegment zwischen ganz jung und ganz erfahren.
Vielleicht kann der deutsche Eishockeybund auch am Beispiel Frederik Tiffels lernen, der als Jugendlicher an eine Uni in die USA gegangen ist und dort jetzt studiert und Eishockey spielt und von dem Förderprogramm der NCAA profitiert. Vielleicht sollte man beim DEB darüber nachdenken, ob man nicht mit einigen Universitäten in Nordamerika und Kanada Kooperationsverträge schließt, um dort unsere Juniorenspieler weiter und besser ausbilden zu lassen, als es in Deutschland bis zum heutigen Stand möglich ist.
Das alles benötigt natürlich Zeit und bekanntlich hat man im Sport selten Zeit, weil irgendwelche Medien meinen, man müsste künstlich Druck aufbauen und man müsste Medaillen fordern, aber so läuft das im Eishockey halt nicht. Fakt ist leider auch, dass unsere heimische deutsche Eishockeyliga im europäischen Vergleich ganz einfach zu schwach ist, um eine halbwegs vernünftige Nationalmannschaft auszubilden und auf die Beine zu stellen. Alleine in der WM Saison 2016/ 2017 hat kein deutsches Vereinsteam die zweite Runde der Europa-League im Eishockey überlebt. Das alleine zeigt schon, wo das deutsche Eishockey im internationalen Vergleich steht. Von daher müssen wir in Deutschland die wenigen Talente, die wir haben, speziell fördern. Und das geht meiner Ansicht nach nur im Ausland.
Es gab bei dieser WM nur 2 Punkte, die mir wirklich missfallen haben: Zum einen die laschen Sicherheitskontrollen am Eingang! Ich bin als Behinderter kein einziges Mal abgetastet worden bzw. mein Rucksack ist nur zwei Mal vom Sicherheitspersonal geöffnet worden. Dieses finde ich bei Großereignissen gerade in dieser Zeit mit all den Terroranschlägen sehr gewagt und ganz einfach fahrlässig. Es wäre also für Rollstuhlfahrer ein Leichtes gewesen, da ein rollendes Bombenpaket mit rein zu nehmen. Vielleicht sollte man den Punkt zum Thema Sicherheit auch bei Rollstuhlfahrern nochmal ganz arg überdenken. Wenn wir von Gleichberechtigung reden, dann heißt das auch im Umkehrschluss, dass es auch bei den Behinderten so manchen bösen Buben geben kann, der nicht nur alles schön und richtig macht. Aber im Moment wäre ein Rollstuhl die optimale Tarnung…
Das zweite, was mich gestört hat, das war die fehlende Präsenz unserer Politiker. Nicht dass ich darauf wahnsinnig stehen würde, wenn sich unsere Politiker vor ´ne Kamera stellen und das Blaue vom Himmel runterlügen, aber es ist nun mal ein Zeichen nach außen, wenn Spitzenpolitiker sich bei einer WM mit ca. 500.000 aus dem In- und Ausland auch mal zu Wort melden. Gerade weil auch der Sport in Deutschland in das Resort des Innenministeriums fällt, hätte ich mir gewünscht, wenn zumindest die Innenminister des Landes Nordrhein-Westfalen und des Bundes mal Präsenz gezeigt hätten. Denn eins darf man nicht vergessen: Köln wird immer noch als die Stadt der Silvester-Krawalle im Ausland wahrgenommen. Das aber in Köln auch ca. 500.000 Menschen friedlich zusammen feiern, hätte durch die mediale Präsenz durch einen Spitzenpolitiker besser ins In- und Ausland transportiert werden können. Zumal ja während der ersten Woche der Weltmeisterschaft in Nordrhein-Westfalen noch der Wahlkampf zu den Landtagswahlen in vollem Gange war.
Des Weiteren finde ich es sehr merkwürdig, dass der ehemalige erste Mann in Europa und SPD-Kanzlerkandidat Schulz diese Chance nicht genutzt hat, um ein europäisches Vorzeigeprojekt mit den beiden Gastgeberländern Frankreich und Deutschland zu würdigen und ins rechte Licht zu rücken.
Während bei dem Anschlag auf den Bus von Borussia Dortmund einige Wochen zuvor die Politiker reihenweise Schlange gestanden haben, war jetzt bei der zweitgrößten Sportveranstaltung in Deutschland in diesem Jahr von unseren Spitzenpolitikern niemand anwesend. Auch das zeigt den geringen Stellenwert von Eishockey in Deutschland.
Aber das Ganze hat der Stimmung in den Hallen keinen Abbruch getan, vielleicht ganz im Gegenteil: Die Fans haben diese WM zum Event gemacht und ich hoffe, dass ich noch viele solcher Events erleben kann und darf….
„…, denn wir sind nur zum Feiern hier!…“
****** Bildergalerie folgt noch *******