„Der Goalie“
„Der Goalie“
Immer wieder krachten Rollstühle links und rechts vor mir ineinander. Hockeyschläger klatschten im Zweikampf aufeinander und jeder schrie irgendwelche Anweisungen für den Nebenmann durch die Halle.
Aber war das noch Sport, oder schon Krieg? Keiner schonte den anderen. Der Schläger wurde mit aller Gewalt durchgezogen und der Rollstuhl war das Schlachtross. Alle 10 Minuten musste der Schiedsrichter das Spiel unterbrechen, weil wieder ein Spieler blutend im Rolli hing. Doch nach einigen Minuten Pause und einem frischen Verband waren alle wieder auf dem Feld und knüppelten weiter.
Ich starrte mühsam durch das Getümmel und versuchte den gelben Plastikball zu erhaschen. Endlich sah ich ihn, doch wie so häufig titschte er wie eine frisch abgezogene Flipperkugel zwischen den Rollstühlen hin und her und bahnte sich unruhig seinen Weg in meine Richtung.
Instinktiv wusste ich, dass ich der letzte Mann meines Teams war. Ich sprintete los und krabbelte auf allen Vieren dem Ball entgegen. Wie ich es als Torwart immer tat, wenn ich raus musste um den Ball abzufangen, oder dem nahenden Stürmer den schlechtmöglichsten Winkel zu lassen, um das Tor zu schiessen.
Aus dem riesigen Pulk der Feldspieler vor mir löste sich ein Stürmer der gegnerischen Mannschaft und setzte dem Hockeyball, der unbeirrt auf mich zurollte, hinterher. Es war wieder jenes Duell, welches es so häufig im Leben gibt:
Zwei Menschen kämpfen um eine Sache; den Job, die Liebe, das Leben, die Freiheit, um Sieg oder Niederlage – oder wie hier um einen harmlos daher laufenden Hockeyball.
Aber dieser Ball symbolisierte im Moment alles im Leben zweier Menschen: Tor oder kein Tor, Sieg oder Niederlage, Held oder Looser.
Ich war mit meiner Torwart-Keller zuerst am Ball und versuchte ihn wegzuschlagen, doch leider traf ich den Ball nicht sauber und spiele dem herannahenden Stürmer den Ball förmlich maß geschneidert auf den Schläger, jedoch war mein Gegenüber auch überrascht von der Vorlage, und er nahm den Ball statt direkt zu schießen.
Das war die Sekunde die ich brauchte um mich quer vor den Rolli zu schmeißen. Der Winkel war nun so eng, dass der Stürmer schießen musste, und ich konnte den Ball mit einem langen Bein Richtung Seitenaus abwehren.
Ich schloss meine Augen und wartete auf den Einschlag. Wenn man weiß, dass etwas unweigerlich kommen muss, dann werden selbst Sekundenbruchteile zu Minuten. Ich spannte meinen Körper an und hielt die Luft an.
Dann spürte ich auch schon, wie sich das Fussbrett des Stürmers mit voller Wucht in meine Magengrube bohrte. Durch sein Tempo wurde ich wieder gut einen Meter in Richtung meines Tores gedrückt.
Trotz des ganzen Adrenalin, welches durch meinen Körper waberte, war der Schmerz jetzt doch außerhalb des erträglichen und ich schrie ihn raus. Der Magen zog sich zusammen und die Atmung drohte zu versagen.
Doch wenig später war ich dank Eisspray, Kühlkompressen und spezieller Atemtechniken wieder im Tor und machte meinen Job.
Nachdem das Spiel beendet war, fuhr ich ins Krankenhaus in die Notaufnahme, um nachsehen zu lassen, ob der schon sichtbare blaue Fleck der einzige Schaden war, den der Zusammenprall hinterlassen hatte.
Ich war schon recht häufig in der Notaufnahme zu Gast, und deswegen reagierte ich bei dem Gewusel dort recht gelassen. Ich musste lachen, als die Krankenschwester mit meiner Akte ankam und stöhnte:“Das ist keine Akte mehr was du hast, das ist eine Mischung aus altem Testament und Brockhaus!“
Nach der Röntgenaufnahme fragte mich der Arzt:“Hmm! Wenn ich Deine Akte sehe, dann bist du ja fast jeden Sonntag hier Stammgast! Irgendwann musst du doch die Schnauze voll haben von Schmerzen und Krankenhaus.“
„Es würde mehr weh tun wenn ich nicht mehr spielen würde! Gegen die Schmerzen am Körper kann man was tun, zum Beispiel Eis, Pillen oder OP, aber wenn die Seele schmerzt dann hilft das alles nicht mehr,“ entgegnete ich, „wenn ich Hockey spiele bin ich frei. Kein Rollstuhl und keine Spastik mehr, die mich behindert. Ich schalte den Kopf aus und bin ganz weit weg. Mein Körper macht Bewegungen die er sonst nie zulassen würde. Es ist wie in Trance! Ich bin ein ganz anderes Individuum, und als Torwart, als letzter Mann trage ich Verantwortung. Ich bin das letzte Hinderniß für den gegnerischen Angreifer! Wann und wo lässt die Gesellschaft es solchen Leuten wie mir zu, Verantwortung zu übernehmen? Wo darf ich sonst lernen und zeigen, dass ich Organisieren kann, Fehler ausbügeln muss und die ersten Entscheidungen für mein Leben treffen muss, wenn nicht beim Hockey?“
Der Arzt schaute leicht verdutzt aus der Wäsche:“Das erkläre mir mal genauer, bitte!“
„Nun! Wenn ich im Hockey meine Abwehr organisiere, dann übe ich dort mein Leben zu organisieren. Aber trotz der besten Organisation, es können immer Fehler passieren und da muss ich als Goalie und im wahren Leben immer improvisieren. Wenn ich den Angriff abgefangen habe, bin ich der erste Spielmacher im Team, denn ich bestimme mit meinem ersten Pass ob der Spielzug über links, über rechts, schnell oder langsam gespielt wird. Genau wie ich mit meinen Aktionen der Werdegang meines Lebens bestimme“, erklärte ich.
„Und was machst du, wenn der Ball in deinem Tor liegt?“ fragte der Arzt neugierig herausfordernd.
„Den Ball schnellstmöglich wieder ins Spiel bringen, denn das Match ist erst dann vorbei, wenn der Schiri in die Pfeiffe bläst! Man kann sich ja auch nicht hängen lassen, wenn einen das Leben mal wieder in den Arsch tritt.
Aber wenn einen die Eltern nur in Watte packen und mir nur den Arsch nachtragen, dann werde ich sowas nie lernen. Nur wenn meine Eltern nicht mehr da sind, dann mache ich dicke Backen und gucke blöd.
HOCKEY IS MORE THAN JUST A GAME!!!! IT’S MY LIFE!!!”